Mit dem großen Preis von Suzuka kehrte eines der beliebtesten Rennen endlich wieder in den Kalender zurück – nach zwei Jahren pandemiebedingter Zwangspause. Die Fahrer sind durchweg begeistert von der Strecke, die sich flüssig durch die Landschaft schlängelt. Die Formel 1 genießt beim Publikum in Japan aber auch einen enormen Stellenwert und die Fans vor Ort sind weltweit einzigartig. Sehr gut informiert und voller Enthusiasmus zelebrieren die Japaner den Grand-Prix-Zirkus wie keine andere Nation. Und auch historisch hat Suzuka einiges zu bieten. Viele Weltmeisterschaften wurden auf dieser Strecke entschieden. Unter teils sehr dramatischen Umständen. Senna und Prost gerieten hier zwei mal denkwürdig aneinander. Damon Hill konnte 1996 seinen Titel in Suzuka eintüten und ein gewisser Michael Schumacher war ebenfalls in einige WM-Entscheidungen in Japan involviert. Auch 2022 stand potentiell der Gewinn einer Weltmeisterschaft auf dem Programm. Max Verstappen konnte und sollte dann auch den Titel 2022 in Suzuka gewinnen. Unter außerordentlich kuriosen Umständen. Und daran war nicht nur der Regen schuld, der sich nach Singapur erneut blicken ließ…
Pleiten, Pech und Pannen
Aber bevor ich einen Blick auf die sportlichen Ereignisse des Wochenendes werfe, muss ich natürlich ein paar Worte zu dem ein oder anderen unschönen Thema verlieren. Einmal mehr stehen dabei die FIA und die Rennkommissare im Mittelpunkt, die in den letzten Monaten wahrlich schon einiges an Kritik einstecken mussten. Leider meistens zurecht. Es verdirbt einem wirklich den Spaß am Sport, wenn man sieht wie, wann und warum einige Entscheidungen getroffen werden. Wie inkonsistent und teilweise widersprüchlich die Sportbehörde dabei agiert. Und wie mies sie dann auch kommuniziert. Allein am Suzuka-Wochenende boten sich so viele Gelegenheiten einfach nur mit dem Kopf zu schütteln. Flavio Briatore sagte kürzlich in einem Interview, dass die Formel 1 – sinngemäß – von Anfängern und Stümpern geregelt und betrieben wird. So überspitzt wie die Formulierung auch sein mag, im Kern hat er schon Recht: Profis handeln anders. Mit dem bedauerlichen Tod von Charlie Whiting Anfang 2019 ging der Formel 1 eine wandelnde Enzyklopädie und vor allem eine Respektperson verloren, die seitdem nicht adäquat ersetzt werden konnte. Whiting prägte über mehrere Jahrzehnte die Art und Weise wie in der Formel 1 gefahren wird und wie Regeln ausgelegt und Verstöße geahndet werden. Mit viel Fingerspitzengefühl und einer einzigartigen Autorität aller im Fahrerlager.
Dagegen wirkt das Verhalten der heutigen Verantwortlichen oft willkürlich und kopflos. Mit Sicherheit stecken immer die besten Absichten hinter den Entscheidungen, die so getroffen werden, aber bisweilen hat man das Gefühl es spielt auch viel Tagesform und aktuelle Laune rein. Und das kann nicht sein. Nicht in einem global agierenden Sportereignis mit dem Stellenwert und der Tradition der Formel 1. Ich gehe sicher später im Einzelnen auf die Ereignisse ein, aber so als kleine Stütze einige bemerkenswerte Vorfälle aus Suzuka:
- Chaotische Kommunikation der Verzögerungen vor dem Re-Start.
- Ein Bergungskran AUF der Strecke WÄHREND Autos bei mieser Sicht knapp dran vorbeifahren. In Suzuka. WAS ZUR HÖLLE?
- Strafe gegen Leclerc wurde (im Gegensatz zum Rennen in Singapur) schnell und ohne Anhörung des Fahrers ausgesprochen.
- Chaos nach der Zieldurchfahrt. Niemand wusste wie das Rennen denn nun gewertet worden ist und welche der x Ausnahmeregelungen denn greift und ob Verstappen nun Weltmeister ist oder nicht.
Ahja, Sport war ja auch noch…
Aber gehen wir mal der Reihe nach vor. Begonnen hatte das Suzuka-Wochenende noch ganz gewöhnlich. Nunja, abgesehen vom besagten Regen. Bereits das erste freie Training war nass und daher wenig aussagekräftig. Für Mick Schumacher ging es aber gleich dramatisch los. Bereits als die Session abgewunken worden war, drehte er sich auf seiner allerletzten Runde unglücklich und warf den Haas-Boliden in die Bande. Konsequenz: rund eine halbe Million Dollar Schaden und ein beschädigtes Chassis. Daher konnte er auch nicht am zweiten freien Training teilnehmen, die Reparatur dauerte zu lange. Die zweite Freitags-Session verlief ebenfalls im Regen und sah am Ende plötzlich zwei Silberpfeile an der Spitze. Richtig spannend wurde es dann aber beim Quali am Samstag. Die Strecke präsentierte sich trocken und bot allen Fahrern somit eine neue Herausforderung. Mick Schumacher konnte seinen Lapsus vom Vortag halbwegs wieder gut machen und rehabilitierte sich mit dem Einzug in Q2. Pierre Gasly erwischte dafür keinen guten Tag und musste bereits im ersten Segment die Segel streichen. Ansonsten verlief die Qualifikation weitgehend ohne große Überraschungen. Der Showdown am Ende hatte es aber in sich. Schlussendlich holte Max Verstappen hauchdünn die Pole Position. Charles Leclerc lag nur 0,010 Sekunden dahinter und der zweite Ferrari von Carlos Sainz auf Rang drei mit 0,057 Sekunden Rückstand. Irre… Starke Leistung: Sebastian Vettel schaffte auf seiner Lieblingsstrecke den Einzug in die Top 10 und sollte das Rennen von Rang neun aus angehen.
Regen, Regeln und Randale
Am Sonntag zogen dann wieder dunkle Wolken auf über der Strecke in Suzuka. Im wörtlichen und auch im übertragenen Sinne. Der Rennstart erfolgte dennoch pünktlich und alle 20 Fahrer standen mit Intermediates am Start. So schlimm sollte es also nicht sein. Vereinzelt bildeten sich kleine Flüsse auf der Fahrbahn, aber wenn 20 Formel-1-Autos mit entsprechenden Reifen den Asphalt beackern, sollte das meiste Wasser schnell zu verdrängen sein. So weit die Theorie… Der Rennstart verlief zunächst auch einigermaßen geordnet und sehr sehenswert. Leclerc kam besser vom Fleck, aber Verstappen hielt durch die ersten zwei Kurven knallhart dagegen, blieb außen und konnte Rang eins gerade so sichern. Dahinter ging es aber bereits turbulent zur Sache. Vettel geriet mit Alonso aneinander und landete in der ersten Kurve im Kies, konnte aber weiterfahren. Einige Kurven weiter stand plötzlich ein zerstörter Ferrari neben der Fahrbahn. Carlos Sainz hatte Aquaplaning und verlor dabei die Kontrolle über seinen Boliden. Alex Albon stand ebenfalls neben der Strecke. Und Pierre Gasly, der aus der Box gestartet war, fuhr plötzlich mit einer großen Werbetafel auf dem Frontflügel durch die Gegend. Klare Sache: Safety Car. So weit so gut. Pierre Gasly war in der Zwischenzeit an der Box um sich eine neue Nase abzuholen und eilte dann – innerhalb der vorgegebenen Delta-Zeit – dem Feld hinterher um sich an dessen Ende einzureihen. Dabei geschah etwas, das wir nie wieder zu sehen gehofft hatten: Ein Bergungskran mitten auf der Strecke, der sich um den havarierten Ferrari von Sainz kümmerte. Und ein Streckenposten direkt daneben. Absolut unglaublich, aber seht selbst:
Nach all dem unerträglichen Leid, das aus dem Unfall von Jules Bianchi 2014 in Suzuka unter vergleichbaren Bedingungen resultierte, sehen wir wieder einen Bergungskran in Aktion, während Formel-1-Autos in beinahe Renngeschwindigkeit daran vorbeirasen. Es ist schier unbegreiflich… Alle Fahrer waren nach dem Rennen völlig entrüstet darüber und alle sind sich einig, dass so etwas nie wieder passieren darf. Just als Gasly an besagtem Kran vorbeiraste wurde das Rennen mit einer roten Flagge ohnehin unterbrochen. Es wäre also nichts gewonnen gewesen den gestrandeten Ferrari ein paar Sekunden früher zu bergen, die potentielle Gefahr war durch absolut nichts gerechtfertigt. Die FIA muss ein für alle mal klarstellen, dass kein Kran je wieder in die Nähe der Fahrbahn gelassen wird, solange nicht alle Rennautos absolut sicher daran vorbeifahren können oder – noch besser – an der Box stehen.
Das lange Warten
Während der Unterbrechung sah man Pierre Gasly zunächst auch völlig außer sich am Diskutieren mit einigen Teammitgliedern. Zu dem Zeitpunkt wusste noch niemand warum der Franzose derart aufgebracht war, aber der Vorfall machte schnell die Runde und es dämmerte wohl allen, dass die Formel 1 da haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschlittert ist. Die Schuldfrage indes ist bis heute ungeklärt. Wer hat die Entscheidung getroffen den Kran auf die Strecke zu schicken? Und warum? An einer Stelle, die offenbar unberechenbar genug war, dass Carlos Sainz von der Strecke gerutscht ist. Bei miserabler Sicht, so dass Pierre Gasly keinerlei Chance hatte den Kran zu erkennen bis er daran vorbeigefahren war. Die FIA wird diese Fragen klären und Lösungen finden müssen, die Ähnliches in Zukunft verhindern. Die Unterbrechung des Rennens sollte anschließend über zwei Stunden dauern. In dieser Zeit wurde eine Menge diskutiert über Sichtverhältnisse, Aquaplaning, stehendes Wasser, die verfügbaren Reifen für solche Bedingungen und dergleichen. Im Prinzip besteht nur ein großes Problem, das durch die neuen Autos mit Ground Effect leider noch verschlimmert wurde: die Sicht. Ein Formel-1-Bolide kann ohne große Probleme bei Regen fahren. Je nach Wassermenge auf der Strecke eben mit Intermediate- oder Regenreifen. Problematisch wird es aber sofort, wenn mehrere Autos hintereinander fahren, denn die Sicht ist faktisch gleich null. Die Reifen – und neuerdings eben auch die Tunnel unter dem Auto – verdrängen derart viel Wasser und spritzen es in die Luft, dass im Prinzip alle Fahrer, bis auf den Führenden, in einer dichten Nebelwolke fahren. Das ist natürlich hochgradig gefährlich und riskant. So gerne wir auch alle herausragende Leistung und Heldentum sehen wollen. Auf leichtsinniges Risiko und Gefährdung von Menschenleben können wir alle verzichten.
Spektakulärer Quasi-Sprint
Vieles wurde in der langen Unterbrechung also besprochen, darunter natürlich auch wie die Punktevergabe bei einem verkürzten Grand Prix aussieht. Zur Erinnerung: Nach dem Farce-Rennen in Spa letztes Jahr hat die FIA reagiert und ein neues Säulensystem entwickelt, nachdem eine gewisse Distanz absolviert werden muss um ein Viertel, die Hälfte oder drei Viertel der Punkte auszuschütten. Alles etwas kompliziert, aber im Kern gute Überlegungen. Bevor es dann nach der langen Zwangspause für ein Rennen über rund 40 Minuten wieder losgehen sollte, waren sich im Prinzip alle einig, dass es wohl für 50% der Renndistanz und entsprechend halbe Punkte reichen sollte. Bitte merken, das wird dann am Ende nochmal wichtig.
Immerhin hatte das kurze Rennen dann wirklich einiges zu bieten! Es wurde hinter dem Safety Car gestartet, da die Strecke immer noch reichlich nass war. Der Regen allerdings hatte nachgelassen. Bei einem SC-Start sind für alle Regenreifen verpflichtend, was natürlich eine spannende strategische Komponente ins Spiel brachte: wer würde den optimalen Zeitpunkt zum Umsatteln auf Intermediates erwischen und profitieren? Sebastian Vettel und Nicholas Latifi riskierten es bereits sehr früh. Haas versuchte mit Mick Schumacher das Gegenteil: so lange wie möglich auf Regenreifen draußen bleiben und auf ein Safety Car hoffen. Dann mit erheblicher Zeitersparnis Reifen wechseln und entsprechend Plätze gut machen. Die meisten anderen Fahrer lagen zwischen den beiden Extremen und wechselten rund drei, vier Runden nach Wiederanpfiff. Durch diese besonderen Umstände führte Mick Schumacher für ein paar Meter sogar den Grand Prix an!
Was aber vor allem hängen bleibt sind zwei Dinge: viele tolle Zweikämpfe, die allesamt hart, aber fair ausgefochten wurden. Und ein Max Verstappen, der die gesamte Konkurrenz in den Schatten gestellt hat. In den letztendlich 27 Runden, die der Japan-GP diesmal umfasste, fuhr Verstappen ebenfalls 27 Sekunden Vorsprung auf den zweitplatzierten Fahrer raus. Was für eine absolute Dominanz! Davor muss man den Hut ziehen, ganz gleich wem man die Daumen drückt. Schöner anzusehen waren freilich die erwähnten Zweikämpfe. George Russell überholte gleich zwei mal meisterhaft in der langgezogenen Rechts am Ende der S-Kurven außen herum. Lewis Hamilton hing viele, viele Runden im Getriebe von Esteban Ocon, der aber großartig verteidigen und den vierten Platz ins Ziel retten konnte. Dann gab es noch das Fotofinish von Vettel und Alonso, bei dem der Deutsche nur um wenige Zentimeter die Nase vorn hatte – sensationell! Und natürlich auch das Duell, das letztendlich die WM endgültig entscheiden sollte: Sergio Perez setzte Charles Leclerc etliche Runden lang enorm unter Druck, fand aber keinen Weg vorbei. In der letzten Runde dann verbremste sich Leclerc bei der Zufahrt auf die Schikane und fuhr geradeaus. Auf so einen Fehler hatte Perez gehofft, trudelte aber dennoch erstmal hinter Leclerc ins Ziel, der nach der Schikane noch recht optimistisch durch die letzte Kurve verteidigt hatte. Die Rennleitung machte aber direkt Nägel mit Köpfen und verhängte eine 5-Sekunden-Strafe gegen Leclerc, was die Reihenfolge der Streithähne im Endklassement umdrehen sollte. Perez auf zwei, Leclerc auf drei. Richtige Entscheidung im Prinzip, aber im Gegensatz zum Rennen vorher, erfolgte sie schnell (gut so!), allerdings ohne Anhörung der Fahrer. Das gefiel Ferrari natürlich nicht. Und den Fans gefällt die Unbeständigkeit nicht, mit der solche Entscheidungen gefällt werden… mal so mal so, leider nicht sehr professionell eben.
Ja? Nein? Vielleicht?
Was hatte es denn aber nun mit der Konfusion auf sich, die nach der Zieldurchfahrt allgegenwärtig war? Während die offiziellen Grafiken an der Strecke und im TV-Feed Max Verstappen bereits als Weltmeister auswiesen, reichte es nach den Kalkulationen von Teams und Journalisten rechnerisch noch nicht ganz. Während dem Siegerinterview drang die Information dann zu Verstappen selbst und Johnny Herbert gratulierte ihm zum Titel. Danach diskutierte Verstappen aber mit seinem Team und einigen Fahrern und war sich der Sache doch nicht ganz sicher… es herrschte also ziemliche Verwirrung. Ein unwürdiges Ende einer sehr erfolgreich geführten Titelverteidigung also, aber „normal gewinnen“ kann Max Verstappen scheinbar noch nicht. Kein Vergleich zur Kontroverse letztes Jahr, aber dennoch einfach seltsam. Aber warum hat es denn nun doch schon zum Titel gereicht? Nunja… die FIA hat geschlafen. Während das vorhin erwähnte „Säulensystem“ als Antwort auf den Pannen-GP in Spa 2021 entworfen wurde, hatte offenbar jemand übersehen, dass all die schönen neuen Regeln nur Anwendung finden, wenn ein Rennen unterbrochen und nicht wieder fortgesetzt werden kann. Der Suzuka-GP wurde aber unterbrochen, fortgesetzt und regulär nach Ablauf der maximal verfügbaren Zeit beendet. Auch wenn insgesamt nur rund die Hälfte der eigentlichen Renndistanz absolviert wurden, fand die neue Regelung also keine Anwedung, sondern? Nunja, es gibt keinen definierten Spezialfall für so eine Variante und dementsprechend wurden ganz normal volle Punkte ausgeschüttet. Daher reichte es für Verstappen eben doch zum zweiten Titel in Folge. Super gemacht, liebe FIA. Wirre Regeln schreiben ist schlimm genug. Diese dann aber so mies kommunizieren, dass ein solch wichtiger Moment dermaßen unwürdig und konfus über die Bühne geht… achja, liebe Formel 1, manchmal möchte ich einfach nur mit dem Kopf schütteln.
TOP:
- Die Fans in Japan waren schon immer ein ganz besonderes Kaliber. Nach zwei Jahren Formel-1-Abstinenz waren sie besonders motiviert und brachten ihren unglaublichen Enthusiasmus unterhaltsam zum Ausdruck.
- Als das Rennen endlich lief, war es ein sehr kurzweiliges Vergnügen und de facto ein prima Sprintrennen. Viele spannende Kämpfe waren geboten und jenseits der Spitze blieb es bis zum Ende teilweise hochspannend.
- Max Verstappen ist seit Suzuka ein hochverdienter Doppel-Weltmeister, da sind sich im Prinzip alle einig. Wie diese Entscheidung allerdings zustande kam ist einmal mehr zumindest fragwürdig, denn…
FLOP:
- … die FIA hat einmal mehr überaus inkonsequente Regeln formuliert und selbige noch dazu miserabel kommuniziert. Im Prinzip war niemandem nach dem Rennen klar ob es nun zum WM-Titel gereicht hatte oder nicht.
- Ein Bergungskran mitten auf der Strecke während Autos daran vorbeiheizen. Und das bei furchtbaren Sichtverhältnissen im Regen und ausgerechnet in Suzuka. Das weckte böse Erinnerungen. Indiskutabel!
- Regen sorgte ehemals für spannende Rennen mit unvorhersehbarem Ergebnis. Heute sorgt das kühle Nass für Konfusion, Frust und unnötig gefährliche Situationen. Da müssen Verbesserungen her!