Nach zwei Jahren seuchenbedingter Auszeit kehrte der F1-Zirkus endlich wieder nach Singapur zurück. Dieses Rennen hat sich einen Stammplatz im Kalender wirklich verdient, lockt es doch mit einer einzigartigen Atmosphäre und einer tollen Strecke, die bei Ingenieuren und Fahrern gleichermaßen als Herausforderung gilt. Angesichts der herrschenden Temperaturen in Singapur, ist der Grand Prix auch der vermeintlich physisch anstrengendste im gesamten Jahr. Eine knallharte Bewährungsprobe für Mensch und Maschine also. Exakt das, was die Formel 1 meiner Meinung nach immer sein sollte. Ihr merkt schon: Ich bin Fan! Dieses Jahr kam noch eine besondere Komponente dazu, die diesen ohnehin schon kniffligen Grand Prix noch weiter verkomplizieren sollte: Regen!
Wechselhaftes Quali
Bereits am Samstag mischte der Regen das Feld ein wenig durcheinander. Zu Beginn der Qualifikation war die Strecke noch überwiegend feucht und ohne Intermediate-Reifen ging nichts. Ein ruhiger Gasfuß und viel Geduld sind bei solchen Bedingungen stets gefragt. Kalkuliertes Risiko und gutes Timing sind ebenfalls wichtig, will man bei Mischbedingungen am Ende vorne stehen. Nicht so gut gelang das beiden Williams-Piloten. Rückkehrer Alex Albon war mit P19 nur unwesentlich besser als sein scheidender Teamkollege Latifi. Überraschenderweise war in Q1 auch Endstation für Esteban Ocon und Valtteri Bottas. Daniel Ricciardo musste in diesem Jahr bereits öfter die Segel im ersten Quali-Abschnitt streichen. So auch in Singapur. In Q2 versuchten dann bereits einige Fahrer ihr Glück auf Slicks, aber noch ohne Erfolg. Die Strecke trocknete ungewohnt langsam ab. Für beide Aston Martin war im zweiten Abschnitt Schluss, ebenso für Mick Schumacher. Neben Zhou Guanyu blieb aber auch George Russell hängen. Dabei hatten sich die Mercedes in Singapur eigentlich eine Menge ausgerechnet.
Ein bisschen Drama
Die Strecke war dann im Q3 bereit für Slicks und die Zeiten purzelten nur so dahin. Es entwickelte sich ein heißer Schlagabtausch zwischen mindestens fünf Fahrern um die Pole Position. Das war spannend anzusehen und es war nicht vorhersehbar wer am Ende vorne landen sollte. Max Verstappen musste seinen ersten Versuch auf eine schnelle Runde bereits abbrechen, weil er zu nah auf Pierre Gasly aufgelaufen wäre und daher ohnehin keine konkurrenzfähige Zeit hingelegt hätte. Am Ende war das Timing für den Weltmeister aber perfekt. Er ging als letzter auf die Jagd nach der Bestzeit und… nunja… wurde bei eben diesem Versuch energisch am Boxenfunk zurückgepfiffen. Er solle doch bitte auch diese Runde sofort abbrechen und an die Box kommen. Völlig außer sich fauchte Verstappen einige Worte an die Boxenmauer, die ich hier lieber nicht wiedergebe. Woran lag es? Im Red Bull befand sich einfach nicht genug Benzin um diese Runde mit Vollgas zu Ende zu fahren und nach der anschließenden Auslaufrunde noch genug Sprit im Tank zu haben um eine Probe abgeben zu können, wie es vorgeschrieben ist. Ein ähnliches Problem kostete Sebastian Vettel kürzlich ein Podium. Lewis Hamilton 2012 auch mal eine Pole Position. Daher wollte Red Bull kein Risiko eingehen und lieber von Platz acht starten, statt von ganz hinten. Verständlich. Schlussendlich ging die Pole an Charles Leclerc. Hauchdünn vor Sergio Perez und Lewis Hamilton. Dahinter Sainz, Alonso und Norris. Bunt gemischt also, ganz wunderbar nach meinem Geschmack!
Und noch viel mehr Drama
Standesgemäß ging am Sonntag kurz vor dem Rennstart ein richtig übler Regenschauer über Singapur runter. Die Drainage entlang der Strecke kam nicht hinterher und den Rennkommissaren blieb kaum eine andere Wahl als den Rennstart zu verschieben. So weit bin ich auch absolut einverstanden. Allerdings wurde der Rennstart direkt um eine Stunde nach hinten geschoben, was angesichts des nachlassenden Regens dann doch etwas arg pessimistisch erschien. So kam es natürlich wie es kommen musste: Beim Rennstart gingen direkt alle Fahrer auf Intermediates raus. Für Regenreifen war die Strecke bereits zu trocken. Kleine Quizfrage zwischendurch: welches Rennen war das letzte, das mit einem regulären, stehenden Start begann, aber aufgrund der Witterungsbedingungen Regenreifen voraussetzte? Ganz ehrlich: Ich kann mich nicht erinnern. Wenn Rennen in jüngerer Vergangenheit mit viel Wasser auf der Strecke gestartet wurden, dann doch immer hinter dem Safety Car. Und als selbiges an die Box kam um das Rennen freizugeben, war die Strecke auch schon beinahe trocken genug für Intermediates. Total witzlos also… Das war auf jeden Fall wieder eine Entscheidung seitens der Kommissare, die nicht unbedingt Vertrauen in deren Kompetenz schafft. Sicherheitsbedenken hin oder her. Aber wenn es zu unsicher ist bei Regen zu fahren, dann brauchen wir auch keine Regenreifen, oder? Das hat auf jeden Fall vielen Fans den Spaß am Rennen schon verdorben, noch bevor selbiges überhaupt begonnen hatte.
Merkwürdiger Rennverlauf
Mit reichlich Verspätung ging es dann also auf einer abtrocknenden Strecke mit Intermediates los. Die Pole Position brachte Leclerc allerdings kein Glück. Sergio Perez kam mit einem Raketenstart am Ferrari vorbei und behauptete sich souverän. Überhaupt waren die ungeraden Startplätze kein Vorteil am Start. Hinter Perez kamen auch Sainz und Norris prima vom Fleck und konnten Plätze gut machen. Die erste Runde ging auch weitgehend ohne Scharmützel zu Ende. Ein paar freundliche Rempler und ein Williams-Dreher im hinteren Feld geht auf einem Stadtkurs doch schon als „zivilisierter Start“ durch. Einzig für Kevin Magnussen sollte die erste Runde Konsequenzen haben. Der Däne hat sich schon wieder einen Frontflügel krumm gefahren und bekam von der Rennleitung die entsprechende Flagge gezeigt, die einen Boxenstopp und einen neuen Flügel zur Folge hatte. Und natürlich den Zeitverlust, der damit einher geht. Ab dann war es aber ein überaus seltsames Rennen… normalerweise würde man bei der Kombination aus Regen und Stadtkurs von Chaos ausgehen und einem völlig verdrehten Grand Prix mit Sensationssieg. Nicht so in Singapur 2022. Beinahe zwei Drittel des Rennens waren gespickt mit Vorfällen, Ausfällen, VSC-Phasen und richtigen Safety Cars, aber daraus ergab sich irgendwie einfach… nichts?! Die Strecke trocknete nur sehr langsam ab, klar: ein Nachtrennen ohne direkte Sonneneinstrahlung, dazu grundsätzlich hohe Luftfeuchtigkeit – das sind nicht die idealen Rahmenbedingungen für eine schnell abtrocknende Strecke. Dementsprechend wollte aber auch niemand etwas wagen und eine alternative Strategie versuchen, denn die gab es einfach nicht.
Wer zuckt zuerst?
Die einzige Strategie in diesem Grand Prix lautete: warten, auf der Strecke bleiben und Position halten. So lange bis der optimale Zeitpunkt für einen Wechsel auf Slicks gekommen ist. George Russell, der nach seinem vergurkten Qualifying noch einige Motorenkomponenten getauscht hatte und aus der Box gestartet war, wagte als erster einen Versuch. Bereits in Runde 21 streifte er seine Intermediates ab und ging auf Medium-Slicks ins Rennen. Aber die Strecke war an vielen Stellen einfach noch viel zu rutschig. Zwischen Runde 33 und 36 kamen dann die meisten übrigen Piloten an die Box um sich Trockenreifen abzuholen. Ab diesem Zeitpunkt ging es auf Slicks definitiv schneller als auf Intermediates. Apropos Zeit: Für gewöhnlich ist der Grand Prix in Singapur ohnehin einer der längsten im Kalender. Aufgrund der langsameren Rundenzeiten im Nassen war bereits relativ früh klar, dass das Rennen nicht über die volle Distanz gehen würde, sondern bei Ablauf der zwei-Stunden-Marke abgewunken werden sollte. Daher lief während der Übertragung dann im letzten Renndrittel auch nur die Zeit runter statt, wie gewohnt, die aktuelle Runde anzuzeigen. Etwas verwirrend.
Sieger und Verlierer
Für so ein relativ schnödes Rennen gab es in Singapur aber erstaunlich viele klar ersichtliche Sieger und Verlierer. Und gegen Ende kam auch noch ein wenig Schwung ins Geschehen. Ahja, und natürlich noch eine kontroverse Entscheidung der Rennleitung, wie könnte es auch anders sein?! Sergio Perez, der immer noch in Führung lag, wurde plötzlich wegen zweier Vergehen hinter dem Safety Car untersucht. So weit so verständlich. Aber die Kommissare kündigten direkt hinterher an, dass eine Entscheidung erst nach dem Rennen fallen würde. WAAARUM??? Das ist wirklich das Schlimmste, das man allen Zuschauern antun kann… da geht ein Rennen zu Ende, es gibt ein Ergebnis, aber das wird vielleicht einige Stunden später noch umgeworfen, argh! Völlig ohne Not wieder Kredit verspielt. Sowas darf es wirklich nicht mehr geben. Da darf sich die Formel 1 ruhig am Fussball orientieren. Da werden zwar oft falsche Entscheidungen gefällt, aber sie fallen innerhalb der Spielzeit und bei Abpfiff steht ein Ergebnis, das in der Regel auch nicht mehr angefochten wird. Können wir so etwas bitte auch haben? Danke. Die Rennleitung an diesem Tag war jedenfalls ein großer Verlierer. Schon wieder.
Immerhin: eine drohende Sanktion für Perez hätte eine fünf-Sekunden-Strafe sein können. Das funkte das Team dem überraschten Piloten auch durch und der machte sich direkt an die Arbeit. Innerhalb von wenigen Runden fuhr er scheinbar mühelos Charles Leclerc auf und davon und raste mit rund 7,5 Sekunden Vorsprung als Sieger ins Ziel. Eine absolut großartige Leistung des Mexikaners in diesem Rennen. Viele munkelten nach der Zieldurchfahrt es sei das beste Rennen seiner Karriere gewesen. Unheimlich diszipliniert und präzise war er unterwegs und trotzte bravourös allen Widrigkeiten dieses Rennsonntags. Ein sehr verdienter Sieger! Ahja: Die fünf-Sekunden-Strafe bekam er im Nachhinein dann tatsächlich aufgebrummt. Vorsprung sei Dank änderte sich aber nichts mehr am Ergebnis und Perez durfte seinen meisterhaft herausgefahrenen Sieg auch behalten. Immerhin…
Große Verschiebungen
Perez war aber nicht der einzige Gewinner an diesem Tag. Voller Freude waren sicher auch die Teams von McLaren und Aston Martin, die jeweils mit beiden Autos gut punkten konnten. Norris und Ricciardo machten mit Rang vier und fünf großen Reibach und ließen beide Mercedes und einen Red Bull hinter sich. Viel wichtiger aber: Sie zogen in der Konstrukteurswertung an Alpine vorbei. Die Franzosen hatten ein Wochenende zum Vergessen und reisten nach einem bitteren Doppelausfall mit null Punkten aus Singapur ab. Gerade für Alonso, der an diesem Wochenende seinen 350sten Grand Prix absolvierte, sehr bitter. Vom Tempo her war er gut dabei und konnte sich in der Anfangsphase gegen Verstappen behaupten. Ein Schaden am Motor beendete seinen Arbeitstag aber vorzeitig.
Die Aston Martin landeten am Ende auf Rang sechs (Stroll) und Platz acht (Vettel) und konnten mit ihrer Punkteausbeute sogar zwei Kontrahenten in der WM-Wertung hinter sich lassen. Haas und Alpha Tauri nämlich. Das wird noch ein heißer Dreikampf um viele Millionen Preisgeld, mehr oder weniger Windkanalzeit und letztendlich um Platz sieben in der Konstrukteurs-Wertung. Sehr spannend! Neben all den Siegern und Verlierern gibt es da übrigens noch Ferrari. Die lagen gefühlt irgendwie dazwischen. Platz zwei und drei im Rennen sind ein sehr starkes Ergebnis. Angesichts der Pole von Leclerc und einiger Fehler der direkten Konkurrenten hätte es durchaus auch ein Doppelsieg sein können. Aber dafür war Sergio Perez an diesem Tag einfach zu stark. Und ja, Fehler der Konkurrenten… unglaublich, aber wahr: Verstappen und Hamilton sind auch nur Menschen und machen Fehler! Beide sogar im gleichen Rennen! Und dann auch noch mehr als einen… Hamilton rutschte in Runde 33 z.B. in eine Leitplanke, konnte aber weiterfahren. Kurz vor Ende verbremste er sich bei einem Überholversuch dann auch noch und verlor einen Platz gegen Verstappen. Selbiger bremste sich die frischen Slickreifen komplett eckig, als er beim Anbremsen von Kurve sieben eine Bodenwelle erwischte und die vermutlich längsten Bremsspuren aller Zeiten in den Asphalt brannte. Da mussten nochmal neue Walzen drauf und am Ende reichte es nur zu Platz sieben im Klassement. WM-Party also vertagt. Vielleicht klappt es ja schon am kommenden Wochenende in Suzuka!
Fazit
FazitTOP:
- Sergio Perez fuhr ein überragendes Wochenende und hat den Grand Prix völlig verdient gewonnen. Die Bestrafung für die Delikte hinter dem Safety Car halte ich für etwas übertrieben.
- McLaren zog durch ein starkes Rennen und doppelte Punkteausbeute in der WM-Wertung vorbei an Konkurrent Alpine auf Rang vier. Und das Update am Wagen von Norris scheint auch einzuschlagen.
- Aston Martin kam ebenfalls mit beiden Autos in die Punkte und konnte in der Gesamtwertung gleich zwei Plätze gut machen. Ein goldener Griff, wenn sie Rang sieben bis zum Ende der Saison behaupten können!
FLOP:
- Die nervige Situation, dass bei Rennende nicht klar war ob Sieger Perez den Sieg auch behalten würde, zehrte an den Nerven aller. Die FIA sollte in der Lage sein Entscheidungen über Strafen schneller zu treffen.
- Ein Wochenende zum Vergessen für Alpine. Fernando Alonsos 350. Grand Prix endete mit einem Motorschaden. Gleiches Spiel für Esteban Ocon. Null Punkte, WM-Rang vier an McLaren verloren. Ärgerlich!
- Auch Max Verstappen und Lewis Hamilton leisteten sich einige Schnitzer und konnten im nächtlichen Singapur nicht überzeugen.