Die Ereignisse rund um den Ungarn-GP 2022 lassen fast vergessen, dass da ein sehr unterhaltsames Autorennen stattgefunden hat. Am Donnerstag vor dem Rennen schon der erste große Aufreger: Sebastian Vettel hat plötzlich ein Instagram-Konto! Der Social-Media-Verweigerer richtete selbiges aber zunächst nur ein um wenige Stunden später in einem emotionalen Video seinen Rücktritt aus der Königsklasse nach der Saison 2022 bekannt zu geben. BITTE WAS?! Grundsätzlich konnte man bei Vettel natürlich schon damit rechnen, dass er den Helm in absehbarer Zeit an den Nagel hängt. Der Zeitpunkt und die Art und Weise hat dann aber doch überrascht. Mich jedenfalls.
Direkt nach dem Ungarn-Rennen überschlugen sich die Ereignisse auf dem Fahrermarkt dann so richtig. Alonso gab bekannt, dass er den vakanten Platz bei Aston Martin für 2023 und darüber hinaus beanspruchen würde. Alles klar, dann rückt die große Hoffnung Oscar Piastri bei Alpine nach und macht es sich im Sitz von Alonso gemütlich, oder? ODER? Das Team veröffentlichte zwar am Montagabend eine entsprechend lautende Mittelung. Kurz darauf dementierte Oscar Piastri auf den sozialen Netzwerken aber persönlich und legte nach: „Ich werde 2023 nicht für Alpine fahren.“ AUTSCH! Es bahnt sich ein mittelschweres Drama an und die Silly Season ist in vollem Gange. Aber das soll nicht Gegenstand dieses Beitrags werden. Ich möchte nochmals auf den durchaus spannenden Grand Prix von Ungarn blicken. Auch da gibt es schließlich eine Menge zu berichten.
Irrungen und Wirrungen
Das Rennwochenende in Ungarn gestaltete sich für einige Teams etwas kompliziert. Mit Sicherheit liegt das auch daran, dass mehrere Mannschaften ein paar Upgrades an Bord hatten. Allen voran Haas, die den Wagen von Kevin Magnussen komplett auf eine neue Spezifikation getrimmt haben, die dem Ferrari sehr ähnlich sieht. Teamkollege Schumacher soll das Upgrade beim nächsten Rennen in Spa erhalten. Der Hungaroring ist außerdem ein Kurs, der ein besonderes Setup braucht. Das haben manche mehr oder weniger gut getroffen und es gab auch über das Wochenende verteilt große Schwankungen. Mercedes sah in den freien Trainings am Freitag ziemlich hoffnungslos aus. Ferrari schien seiner Favoritenrolle gerecht zu werden. Teamchef Mattia Binotto hatte nach dem Disaster in Frankreich noch verkündet Ferrari würde in Ungarn einen Doppelsieg feiern. So gut passt die Streckencharakteristik zum diesjährigen Auto. Nunja, so weit die Theorie. Das Qualifying am Samstag lieferte dann bereits die ein oder andere Überraschung…
Pole aus dem Nichts
Nachdem am Samstagmorgen ein gewisser Nicholas Latifi das (verregnete) dritte freie Training auf Platz eins beendet hatte, lag ein Hauch von Sensation in der Luft. Der brachte dem sympathischen Kanadier im entscheidenden Quali dann aber auch nichts. Platz 20 und das Aus schon im Q1 in Gesellschaft von seinem Teamkollegen Alex Albon, Sebastian Vettel und beiden Alpha-Tauri-Piloten, die den umfangreich umgebauten Boliden noch nicht so recht verstanden haben. Im Q2 gab es dann Verwirrung um Sergio Perez. Zunächst wurde ihm eine Zeit aberkannt, da er in Kurve fünf die weiße Linie überfahren haben soll. Eine Entscheidung, die die Rennleitung wenig später zurücknahm. So etwas habe ich noch nie gesehen, aber warum nicht? Fehler kommen vor und wenn man dazu steht und Dinge zügig wieder korrigiert, finde ich das sympathisch. Perez hat es allerdings nicht geholfen. Er musste ohnehin nochmal raus und wurde auf seiner schnellen Runde dann von Magnussen aufgehalten. Nur Platz elf am Ende für den Mexikaner, der seit einigen Wochen etwas von der Rolle scheint.
In Q3 ging es dann aber so richtig hoch her. Während sich beide Ferrari-Piloten einen heißen Schlagabtausch um die Pole boten, ging beim Red Bull von Verstappen nichts. Platz sieben nach dem ersten Schlagabtausch und dann die bittere Diagnose: Motorprobleme! Folglich konnte er sich auch nicht mehr verbessern und landete am Ende nur auf Rang zehn! Furchtbares Ergebnis für den amtierenden Weltmeister. Die Mercedes hingegen hatten über Nacht ordentlich Pace gefunden und mischten fröhlich vorne mit. Bis ein DRS-Defekt bei Lewis Hamilton seine Jagd nach der Bestzeit jäh stoppte. Beim letzten Schlagabtausch konnte sich zunächst Leclerc nicht verbessern, Sainz legte noch ein paar Zehntel zu und alles sah nach einer roten ersten Startreihe aus. Lando Norris lag auf P3, aber der Silberpfeil von George Russell war noch auf einer schnellen Runde. Obwohl er in keinem der drei Sektoren eine Bestzeit aufgestellt hatte, reichte es am Ende sensationell zur ersten Pole Position seiner Karriere! Am Freitag noch meilenweit vom Spitzentempo entfernt, steht plötzlich ein Mercedes auf Pole – das war wirklich sehr überraschend, aber wohl verdient.
Der große Reifenpoker
Die Startaufstellung ließ am Sonntag dann auf ein heißes Rennen hoffen. Nicht zuletzt wegen der traditionell hohen Temperaturen im sommerlichen Ungarn. Die wiederum stellten die Strategen vor einige Probleme. Welche Reifenfolge würde die optimale Rennzeit bringen? Alle drei Reifentypen kamen jedenfalls zum Einsatz, so viel sei verraten. Und nicht jeder Poker sollte am Ende auch aufgehen.
Zunächst aber der Start. George Russell konnte sich gegen zwei sichtlich motivierte und schnelle Ferrari behaupten. Lewis Hamilton kam gut weg und tauchte nach kurzer Zeit bereits im Rückspiegel vom viertplatzierten Lando Norris auf. Auch Verstappen machte sofort Plätze gut und arbeitete sich stetig nach vorne. Keine Unfälle, keine Dramen, ein weitgehend sauberer Start. Das ist ja auch mal erwähnenswert. In Runde zwölf machten Hamilton und Verstappen direkt hintereinander kurzen Prozess mit Lando Norris, dessen Reifen so langsam einbrachen. In Runde 22 stoppte Charles Leclerc und holte sich nochmals Medium-Reifen ab. Er blieb einige Runden länger draußen als Russell und Carlos Sainz. Die Führung konnte er durch diesen Overcut zwar nicht erringen, aber er mogelte sich immerhin an seinem Teamkollegen vorbei auf Rang zwei. So weit lief alles nach Plan für die Roten. Jeder wartete darauf, wann die Ferrari ernst machen und an George Russell vorbei gehen um dann mit überlegenem Tempo den angestrebten Doppelsieg gemütlich nach Hause zu fahren.
In Runde 31 reichte es Charles Leclerc dann und er zog mit einem sehenswerten Manöver vorbei am Silberpfeil von Russell. In Runde 40 unterlief der Ferrari-Crew dann aber wieder einer ihrer berühmten strategischen Geniestreiche. Harte Reifen für Leclerc und bis zum Ende damit durchfahren lautete wohl die Idee. Eine Runde später wurde Leclerc dann schon Opfer des heranstürmenden Verstappen, der sich somit auf Position drei schieben konnte. Hätten die Ferrari-Strategen mal einen Blick zu Alpine gewagt, hätten sie vielleicht anders und mit Sicherheit besser entschieden. Die beiden blauen Renner waren bereits seit einigen Runden auf den harten Walzen unterwegs und verloren konstant an Boden. Der Hard war an diesem Tag und bei diesen Umständen einfach ein unglaublich langsamer Rennreifen. Die meisten Teams hatten das begriffen und planten lieber einen Stopp mehr ein. Wer das nicht tat verlor Zeit und Positionen. Beide Alfa-Romeo-Piloten zum Beispiel oder auch Mick Schumacher. Der harte Reifen funktionierte auf keinem Auto so richtig. Ergo auch nicht am Ferrari…
Leckere Donuts
Noch eine Runde später, also in Umlauf 42, unterlief Max Verstappen dann ein kleiner Fehler. Beim rausbeschleunigen aus der vorletzten Kurve, war er ein bisschen zu euphorisch auf dem Gas und das Heck drehte sich kurz weg. Verstappen verhielt sich goldrichtig und blieb ruhig. Sein Red Bull legte einen geschmeidigen Freuden-Donut hin, die Reifen wurden dabei nicht plattgebremst, Mund abwischen und weiter geht’s! Der kleine Dreher kostete nicht mal viel Zeit und nur Charles Leclerc zog für kurze Zeit wieder am Holländer vorbei. Die Freude sollte nicht lange anhalten, Verstappen konnte den Ferrari-Piloten zügig wieder überholen. Nachdem alle ihre planmäßigen Boxenstopps absolviert hatten, lag Verstappen auf einmal in Führung. Leclerc verlor einen Platz nach dem anderen. Lewis Hamilton hatte sich dafür auch prima rehabilitiert und lag – wie Teamkollege Russell – auf Podiumskurs. Wo war das Ferrari-Tempo hin? Was wurde nun aus dem quasi schon fest eingeplanten Doppelsieg der Roten?!
15 Runden vor dem Ende schnallte man Leclerc dann doch noch die weichen Sohlen auf, aber da waren alle Züge in Richtung Rennsieg schon abgefahren. Auch der lange angekündigte Regen kam nicht so recht auf der Strecke an. Die Optionen der Roten das Rennen doch noch irgendwie zu drehen waren aufgebraucht. Hamilton und Russell boten sich noch einen kleinen Schaukampf um Platz zwei, den der siebenmalige Champ für sich entscheiden sollte. Viel passierte aber nicht mehr. Max Verstappen gewinnt sensationell von Startplatz zehn und leistet sich unterwegs noch einen Dreher. Absolut dominante Vorstellung des Weltmeisters. Hamilton auf zwei, Russell dritter. Sainz nur Platz vier und Leclerc sogar nur Rang sechs. Dazwischen noch der zweite Red Bull von Sergio Perez, der wieder ein recht unauffälliges, aber ordentliches Rennen fuhr. Beide Alpine noch in den Top 10, trotz schlechter Strategie und dem Hard-Reifen. Norris wieder stark und mit Platz sieben im Ziel, noch vor den Alpine von Alonso und Ocon. Als zehnter holte sich Sebastian Vettel noch einen Punkt ab. Solide.
Der Drops ist gelutscht
Nach dem letzten Rennen vor der Sommerpause kann man dann auch kurz Blanz ziehen und einen Ausblick auf den Rest der Saison wagen. Meine Prognose ist ganz simpel: die Weltmeisterschaft ist entschieden. Max Verstappen hat nun satte 80 Punkte Vorsprung auf Charles Leclerc. So wie die beiden Mannschaften und Fahrer agieren, sehe ich absolut keine Möglichkeit, wie Ferrari das noch drehen kann. Leclerc hat zuletzt Fehler gemacht, die Ferrari-Strategieabteilung ist immer für eine haarsträubende Entscheidung gut und wenn die beiden Baustellen mal ordentlich laufen, dann geht halt der Motor hoch. Kurzum: irgendwas ist bei den Roten leider immer. Und in dieser Form sind sie leider einfach nicht bereit für einen WM-Kampf. Und das obwohl die Ingenieure das vermeintlich schnellste Auto gebaut haben und dieses auch mit guten Updates optimieren. Aber man muss das Potential eben auch umsetzen und da tut sich die Scuderia noch sehr schwer. Red Bull macht einfach keine Fehler, die Zuverlässigkeit stimmt mittlerweile auch und Max Verstappen gewinnt scheinbar sogar mit einem Dreher… da brennt wirklich nichts mehr an.
Der Kampf hinter Max Verstappen und Red Bull hingegen… DAS wird noch richtig spannend. Mercedes schickt sich an in der Konstrukteurswertung den Ferrari auf die Pelle zu rücken. Und der Kampf um Rang vier zwischen Alpine und McLaren war auch ohne das Fahrerdilemma schon deftig. Mit diesem unübersichtlichen Geflecht rund um Oscar Piastri kriegt der Kampf noch eine ganz neue Dimension. Und irgendwie ist es wirklich bezeichnend, dass seit vielen vielen Jahren gute Leute im Unfrieden von Alpine bzw. früher Renault und Lotus gehen oder gegangen werden. Vielleicht wäre das mal einen eigenen Beitrag wert, was meint ihr? Für den Moment soll das aber der kurze Rückblick auf den Ungarn-GP gewesen sein. Bald geht es weiter im großartigen Spa Francorchamps, da freue ich mich schon mega drauf! Klar, wer nicht?!
Fazit
FazitTOP:
- Max Verstappen lässt sich weder von einem schlechten Startplatz noch von einem Dreher im Rennen beeindrucken und gewinnt souverän.
- Beide Mercedes erneut auf dem Podium. In der Form sind die Silberpfeile sogar stärker als Ferrari.
- Die Strecke in Ungarn mag als „Monaco ohne Mauern“ gelten, aber die Rennen sind regelmäßig Kracher. Auch dieses Jahr war es ein sehr unterhaltsamer Grand Prix, auch ohne Regen.
FLOP:
- Ferrari hat das schnellste Auto und macht weiterhin viel zu wenig aus dem großen Potential. So wird es leider nichts mit der WM.
- Viele Teams verstehen die Updates an ihren Autos noch nicht und fallen eher zurück als nach vorne zu kommen.
- Die Nachricht von Vettels Rücktritt sorgte im gesamten Paddock für betrübte Gesichter. Der F1-Zirkus ist sich einig: Seb wird dem Sport fehlen!