Viele kuriose und denkwürdige Momente bescherte uns der Grand Prix von Kanada 2023. Vom vermutlich kürzesten freien Training aller Zeiten bis zu statistischen Meilensteinen war alles dabei. Und erneut ein feuchtes, total verrücktes Qualifying.
Wer unseren imkreisfahren Podcast regelmäßig hört (und das solltet ihr!), wusste im Großen und Ganzen, was uns in Kanada erwarten könnte. Einige Teams kamen mit Upgrades nach Montreal, es drohte ein bisschen Regen, Bestmarken drohten möglicherweise eingestellt zu werden und so weiter. Wie sich diese Zutaten im Laufe des Wochenendes aber alle zu einer wirklich überaus unterhaltsamen Rennveranstaltung vermengt haben, das konnte man nicht ahnen. Es ging bereits am Freitag ungewöhnlich los: nach rund vier Minuten im ersten freien Training wurde selbiges unterbrochen. Ein kurzer Stromausfall hatte das Netzwerk an Sicherheitskameras, das die gesamte Strecke abdeckt und ein sehr wichtiges Instrument für die Sicherheit darstellt, komplett lahmgelegt. Das Problem ließ sich auch nicht mal eben schnell beheben, daher wurde die Session schlussendlich abgesagt. Als Ausgleich gab es dafür in FP2 immerhin 30 Minuten mehr Zeit für die Mannschaften.
Dass dieses zweite Training dann auch von einem heftigen Regenschauer heimgesucht und faktisch beendet wurde, nachdem es zuvor schon zwei Unterbrechungen gegeben hatte, passte da irgendwie ins Bild. Es war einfach der Wurm drin an diesem Freitag in Kanada. Sehr ungünstige Bedingungen für alle Teams, die neue Teile an ihre Boliden geschraubt hatten. Die Sammlung wichtiger Daten konnte so natürlich nur in einem begrenzten Rahmen erfolgen. Zumal man ja auch irgendwie das bestmögliche Setup für den Rest des Wochenendes finden musste. Verschärfte Bedingungen auf jeden Fall. So ging es aber auch am Samstag weiter. Auch das dritte freie Training fiel weitgehend dem Regen zum Opfer. Und ein Thema war bereits omnipräsent, das später am Nachmittag noch für Schlagzeilen sorgen sollte: das (un-)absichtliche Blockieren hinterherfahrender Kollegen. Alex Albon lief beispielsweise zwei mal auf Carlos Sainz auf, der seinen Ferrari gefühlt mitten auf der Strecke parkte und nicht auf dem Radar hatte, dass sich ihm ein Auto auf einer schnellen Runde nähert. Ein Problem, das wir bei Ferrari bereits in Monaco gesehen haben. Unschön, aber der Fahrer kann da selten etwas dafür. Im Regen schon gleich gar nicht. Da erkennt man in den winzigen Rückspiegeln außer Regengischt vermutlich exakt nichts.
Verrückte Qualifikation zum Dritten
Es zieht sich ein bisschen durch die Saison, dass im Qualifying oft mehr Spannung drin steckt als schlussendlich beim Rennen am Sonntag. So war das auch in Kanada. Bereits in Q1 gab es einen Aufreger: es war erneut Carlos Sainz, der dem heranstürmenden Pierre Gasly auf dessen entscheidender Runde im Weg stand. Der Franzose wütete am Funk, da er durch die Unachtsamkeit des Kollegen nicht über das Q1 hinauskam. Obwohl sein Alpine für eine deutlich bessere Platzierung gut war an diesem Samstag. Im zweiten Quali-Abschnitt blieben dann überraschenderweise prominente Piloten stecken. Da die Strecke nach wir vor überwiegend feucht war, ging es in erster Linie darum zum richtigen Zeitpunkt auf dem richtigen Reifen auf der Strecke zu sein und eine fehlerfreie Runde hinzuknallen. Das ist nicht jedem geglückt… Lokalmatador Lance Stroll drehte sich und schlug wie durch ein Wunder nirgendwo ein. Sein rundum erneuerter Aston Martin blieb zwar heil, allerdings auch in Q2 stecken. Nur Rang 13 für Stroll. Nicht minder enttäuschend war die Leistung von Charles Leclerc. Der bekam auf den Intermediates keine saubere Runde hin, beschwerte sich dann am Funk, warum man nicht auf Slicks wechselt, die Strecke sei schließlich am Abtrocknen. Als er nach einer mittelmäßigen Rundenzeit dann endlich Trockenreifen aufziehen durfte, begann es wieder stärker zu regnen und er konnte sich nicht mehr verbessern. Nur Position 11 für Leclerc.
Einmal mehr enttäuschte auch Sergio Perez im überlegenen Red Bull. Während Teamkollege Verstappen seit einigen Rennen allen um die Ohren fährt, müht sich Perez und regelmäßig verlässt ihn dabei – vor allem in der Qualifikation – sein Talent. So auch in Kanada. Startplatz 12 und schon wieder eine große Aufgabe für den Rennsonntag. So wird das mit dem Kampf um die Weltmeisterschaft leider nichts, Checo. Wer es deutlich besser machte: Alex Albon! Sein Williams-Team setzte zu Beginn des Q2 alles auf eine Karte und schickte seinen Piloten gleich auf weichen Slicks raus. Albon machte keinen Fehler, hielt den Wagen auf der Strecke und profitierte dann von der abtrocknenden Strecke. Er setzte sensationell die Bestzeit, die mit zunehmendem Regen dann auch niemand mehr überbieten konnte – sensationell! Fast schon normal hingegen, dass Nico Hülkenberg mit seinem Haas ebenfalls ins Q3 einziehen konnte. Auf eine Runde ist das Auto wirklich stark und Hülkenberg holt regelmäßig alles raus.
Im Q3 ging es dann nur kurz zur Sache. Wie gewohnt waren alle Piloten sofort zur Stelle, um eine Runde zu drehen, bevor der Regen schlimmer zu werden drohte. Und nach dem ersten Schlagabtausch sah es für alle Deutschen Fans rosig aus: Nico Hülkenberg lag hinter Max Verstappen auf Platz zwei! Ein richtig verrücktes Ergebnis. Und dabei blieb es dann auch, denn kurz nach Hülkenbergs Runde flog Oscar Piastri im McLaren ab und verursachte eine Unterbrechung. Es ging zwar recht schnell weiter, allerdings war der Regen deutlich schlimmer geworden, die Rennleitung deaktivierte kurzerhand aus Sicherheitsgründen die Verwendung des DRS und spätestens da war klar, dass sich niemand mehr verbessern konnte. Verstappen, Hülkenberg, Alonso, Hamilton und Russell waren die Top 5, aber schon kurz nach Ende der Session drohte Ungemach. Hülkenberg wurde eine zu schnelle Runde unter roter Flagge (die Piastri ausgelöst hatte) zum Verhängnis. Drei Plätze Strafe für das Rennen lautete das Urteil und somit am Ende Startposition fünf, aber auch die ist in einem Haas aller Ehren wert. Drei Plätze zurück ging es übrigens auch für Carlos Sainz, Yuki Tsunoda und Lance Stroll. Alle drei wurden des Blockierens bezichtigt und zurecht bestraft.
Kein Kanada-Klassiker
Zum Grand Prix am Sonntag strahlte dann plötzlich die Sonne über Montreal. Der große Regen-Krimi sollte auch im Laufe des Nachmittags nicht mehr zustande kommen, das Wetter blieb stabil. Endlich ordentliche Bedingungen also für alle Teams, die mit neuen Teile unterwegs waren. Mercedes konnte neue Erkenntnisse zu seinem Monaco-Upgrade gewinnen, Aston Martin und Williams (immerhin am Wagen von Albon) hatten ja ebenfalls umfangreich aufgerüstet. Butter bei die Fische also, was bringen die neuen Komponenten? Das konnte man im Laufe des Rennens im Ansatz beobachten. Der Start und die ersten paar Runden verliefen sehr gesittet und weitgehend ereignislos. Gut, Hamilton konnte sich an Alonso vorbeiquetschen, das muss man erwähnen. Dass Kevin Magnussen am Ende von Runde eins einen Horrorunfall vermieden hat, ebenso. Im Zweikampf Sainz gegen Perez vor ihm scherte beim Anbremsen auf die letzte Schikane der Mexikaner zurück auf die Ideallinie. Magnussen blieb nur der Ausweg durch den schmalen Grünstreifen. Super reagiert, es ist gerade nochmal gut gegangen. Fortan dümpelte das Rennen allerdings ein paar Runden vor sich hin, bis zunächst Logan Sargeant mit einem Defekt ausrollte.
Kurz darauf zimmerte George Russell seinen Mercedes ziemlich deftig in die Mauer. Der Brite funkte bereits ein schuldbewusstes „Sorry, i’m out“ an die Boxenmauer, als ihn sein Renningenieur aufforderte, den Wagen doch irgendwie an die Box zu schleppen. Die Strecke war im Unfallbereich allerdings voller Trümmer und das Rennen musste entsprechend neutralisiert werden. Die ausgerufene Safety-Car-Phase nutzten die meisten Piloten zu einem frühen Boxenstopp. Apropos: Nico Hülkenberg war unglücklicherweise in der Runde vor dem Safety Car bereits beim Reifenstopp und verlor dadurch Zeit und Plätze. Dumm gelaufen. Auffällig war: beide Ferrari-Piloten, die auf Medium gestartet waren, blieben draußen und mogelten sich dadurch einige Plätze nach vorne. Trotz dreier DRS-Zonen war das Überholen in Kanada dieses Jahr nicht einfach. Vielleicht haben die Ferrari-Strategen genau das erkannt und daher durch eine alternative Strategie, versucht ihre Piloten nach vorne zu schleusen. Spoiler an dieser Stelle: es ist ihnen gelungen! Sowohl Sainz als auch Leclerc kamen mit einem Stopp durch das Rennen und konnten insgesamt eine Menge Positionen gut machen. Super Strategie der Roten diesmal, das muss man würdigen!
Nach der Safety-Car-Phase dümpelte das Rennen allerdings ziemlich so dahin. Es gab zwar vereinzelt Action im Mittelfeld, aber im Prinzip bildete sich hinter Albon ein großer DRS-Zug und niemand konnte auf den langen Geraden dem Williams Paroli bieten und überholen. Würzig wurde es vorne aber nochmal in Runde 22. Da startete Fernando Alonso einen Angriff gegen Lewis Hamilton und überholte ihn vor der letzten Schikane sehenswert. Auch wenn die Upgrades am Aston Martin sicher noch nicht erschöpfend erforscht wurden, sie haben schon funktioniert. Der grüne Renner zeigte sich in Kanada jedenfalls in guter Verfassung und war klar die Nummer zwei hinter dem Red Bull von Verstappen. Einzig ein vermeintliches Problem mit der Benzineinspritzung behinderte Alonso im Rennen ein wenig. Sonst wäre vielleicht sogar ein Kampf um den Sieg drin gewesen, wer weiß… das Problem stellte sich übrigens später als Fehlalarm heraus, die Pumpe pumpte ordnungsgemäß und Alonso hätte sich das „lift & coast“, das er rund zwei Drittel des Rennens betrieben hatte sparen können.
Ein bisschen Slapstick
Eine kuriose Einlage lieferten sich in Runde 35 noch Kevin Magnussen und Nyck De Vries. Beide kämpften verbissen um Rang zwölf und lieferten sich einen engen Rad-an-Rad-Kampf über mehrere Kurven hinweg. George Russell, dessen Mercedes übrigens in einem knapp 90-sekündigen Boxenstopp tatsächlich wieder fit gemacht werden konnte, fuhr dicht dahinter, sah ein bisschen zu und überholte beide Streithähne dann in einem Aufwasch. Nachgeben wollte in besagtem Zweikampf aber niemand und es kam fast wie es kommen musste: De Vries verbremste sich bei der Zufahrt auf Kurve drei, rutschte mit qualmenden Reifen geradeaus und Magnussen blieb nichts anderes übrig als mit seinem Kontrahenten in den Notausgang zu fahren. Komödiantisch war es dann, wie beide Piloten versucht haben, rückwärts wieder aus der schmalen Lücke zu fahren, was schlussendlich aber beiden gelang. Skurrile Szene, aber alles fair und im Endeffekt nur gutes Racing. Nach dem Rennen kommentierte Kevin Magnussen passend: „Das war einfach hartes Racing. Wer bin ich denn, dass ich mich darüber beschweren würde?“ und fasste die Szene somit sehr passend zusammen. Hätten wir diese Art von Zweikämpfen nur mal wieder an der Spitze…
„Das war einfach hartes Racing. Wer bin ich denn, dass ich mich darüber beschweren würde?“
Kevin Magnussen
Wichtige Details
Davon abgesehen tat sich im Rennen nicht mehr allzu viel. Ich fasse die erwähnenswerten Details knapp zusammen: George Russell musste seinen Mercedes doch an der Box parken. Durch den Unfall wurde wohl auch das Bremssystem beschädigt. Als am Kommandostand alarmierende Verschleißwerte am Bremssystem aufleuchteten, bat man Russell an die Box zu kommen und den Mercedes abzustellen. Schade, aber leider selbst verschuldet. Lando Norris zeigte als Aktivposten im Rennen sehenswerte Überholmanöver. Allerdings fing er sich auch eine 5-Sekunden-Strafe ein, als er während der Safety-Car-Phase zu viel Abstand zum Vordermann gelassen hatte. Der war in dem Fall sein Teamkollege Piastri und McLaren wollte beide Piloten hintereinander an der Box abfertigen. Um so wenige Plätze wie möglich zu verlieren, hielt Norris also den Zug ein bisschen auf. Das war der Rennleitung aber zu viel des Guten und so wurde er bestraft. Beide McLaren konnten in Kanada übrigens nicht punkten. Schade, denn im Quali waren beide noch stark unterwegs und in Q3.
Der Mann des Rennens war aber Alex Albon. Bereits die mutige Strategie in der Qualifikation wurde belohnt. Auch im Rennen hatten die Williams-Ingenieure einen Plan, den Albon dann perfekt umgesetzt hat. Sage und schreibe 58 Runden hielt der harte Reifen am Auto von Alex Albon durch und bot selbst gegen Ende noch akzeptablen Grip. Was die Konkurrenz auch versuchte, gegen die meisterhaft defensive Fahrt von Albon war kein Kraut gewachsen. Natürlich half da mit Sicherheit auch das Upgrade am Williams, das in Kanada nur am Wagen von Albon montiert war. Auch der traditionell gute Topspeed war auf dem Circuit Gilles Villeneuve natürlich ein starkes Argument. In Kombination landete Albon auf Rang sieben und holte starke sechs Punkte. Damit belegt das Traditionsteam nun Platz neun in der Konstrukteurswertung.
Episches Podium
Vorne drehte Max Verstappen einmal mehr einsam seine Kreise. Auch wenn das Wochenende aus seiner Sicht nicht ganz optimal lief und der Abstand nach hinten geringer war als bisher. Verstappen klagte über rutschige Reifen und war nie gänzlich zufrieden mit seinem Setup. Aber auch an einem mittelmäßigen Tag fährt er im Red Bull relativ locker den Sieg nach Hause. Sieg Nummer 41 übrigens. Somit ist Max Verstappen nun gleichauf mit dem legendären Ayrton Senna, was die Zahl der Rennsiege angeht. Red Bull holte übrigens damit Sieg Nr. 100 der Teamgeschichte, ebenfalls ein großer Meilenstein, nur vier Teams (Williams, McLaren, Mercedes und Ferrari) haben in der Geschichte der Formel 1 mehr Siege errungen. Und weil es so prima in ein Wochenende denkwürdiger Zahlen passte, holte zum zweihundertsten mal (!) ein von Adrian Newey entworfener Wagen die Spitzenposition in einem Grand Prix. Entsprechend durfte Newey auch mit den Top3 des Rennens auf dem Podium feiern. Mit Verstappen, Alonso auf Rang zwei und Hamilton dahinter ergab sich ein wirklich großartiges Bild. In unserer recht frischen Rubrik „Zahl des Tages“, die wir auf Instagram und Facebook in unregelmäßigen Abständen mit Beiträgen befüllen, war es entsprechend auch das Top-Thema: insgesamt waren auf diesem Podium 376 Rennsiege vereint. Besser geht es nicht!
Oder doch? Mal sehen, welche Überraschungen, Rekorde und Diskussionsgrundlagen uns der kommende Österreich-GP so bringt! Beim Heimrennen wird sich Red Bull natürlich keine Blöße geben und den einmaligen Lauf auch fortsetzen wollen. Max Verstappen ist aktuell ohnehin in Bestform: Kanada war sein dritter Grand Slam in Folge, er führte seit dem Überholmanöver gegen Perez in Miami (das war übrigens Ende Mai!) jede einzelne Runde an. Momentan scheint der Weltmeister absolut unantastbar. Aber die Gegner kommen gefühlt näher. Neben Aston Martin und Mercedes, die noch weitere Upgrades im Köcher haben, war in Kanada auch Ferrari besser dabei als es wirkte. Mit den Plätzen vier und fünf begeistert man jetzt nicht unbedingt alle Tifosi. Allerdings waren die Ferrari auch von Rang zehn und elf ins Rennen gegangen und Dr. Helmut Marko bescheinigte ihnen den besten Speed auf allen Reifenmischungen im Rennen. Mal sehen, ob da nun auch dauerhaft was geht. Wir werden es sehen, wenn es in Österreich bald weitergeht! Bis dahin: eine gute Zeit!
Fazit
FazitTOP:
- Alex Albon krönt die strategische Meisterleistung des Williams-Teams mit einer heldenhaften Verteidigungsfahrt und Rang sieben. Driver of the day!
- Erneut ein Rennwochenende, an dem die wahren Dramen und Überraschungen sich in der Qualifikation abspielten. Die war ein Thriller!
- Ferrari erlebt nach einem frustrierenden Samstag endlich mal ein gutes Rennen. Die Problemzone „Reifenverschleiss“ schien in Kanada behoben.
FLOP:
- Nach einem sensationellen zweiten Platz in der Qualifikation geht es für Hülkenberg erst dank einer Strafe, anschließend wegen heftigem Reifenverschleiß im Rennen nur nach hinten auf Rang 15. Bitter.
- McLaren konnte in Kanada keine Punkte holen, obwohl es über weite Strecken des Rennens eigentlich gut ausgesehen hatte.
- George Russell vergeigte mit einem eigenen Fehler die Chance auf gute Punkte und verliert mittlerweile deutlich den Anschluss an Hamilton.