Das war er nun also. Der vermutlich vorerst letzte Grand Prix von Frankreich für eine Weile. Offiziell bestätigt ist das Aus von Paul Ricard noch nicht, aber die Anzeichen deuten allesamt darauf hin. Das Gros der Fachpresse und der Fans wird dem Rennen keine Träne nachweinen. Die Strecke erfreut sich zudem auch bei Fahrern und Teams nicht allzu großer Beliebtheit. So schlecht waren die Rennen in der jüngeren Vergangenheit nicht, aber ein richtiger Kracher war eben auch nicht dabei. Mit seiner langen Boxengasse erlaubt der Kurs kaum strategische Vielfalt, die Mischung aus Geraden, Schikanen und schnellen Kurven mit langen Radien und späten Scheitelpunkten lädt auch nicht unbedingt zu Unmengen an Überholmanövern ein. Selbst mit der aktuellen Fahrzeuggeneration nicht. Was insgesamt schade ist, denn Frankreich ist ein großer und wichtiger Markt mit viel Rennsporttradition. Der Heim-GP von Pierre Gasly, Esteban Ocon und dem Alpine-Team war aber auch 2022 kein Thriller. Für das Ferrari-Team und insbesondere Charles Leclerc war es sogar eine Tragödie, aber dazu gleich mehr. Steigen wir ein in die Analyse!
Teamplay am Samstag
Die größte Herausforderung für alle Beteiligten sollten die brütend heißen Temperaturen werden. Schon am Samstag kletterte das Thermometer weit über die 30° und heizte allen an der Strecke ordentlich ein. Kühlen Kopf im Qualifying behielt aber vor allem Carlos Sainz. Nach seinem fulminanten Motorschaden im Rennen zuvor in Österreich war klar, dass Sainz eine komplett neue Antriebseinheit brauchen würde. Da sein Kontingent für die Saison bereits ausgeschöpft ist, gab es die Startplatzstrafe und es war klar, dass der Spanier von ganz hinten würde starten müssen. Bitter für ihn, war er über das gesamte Wochenende einer der schnellsten Fahrer. Im samstäglichen Quali nutzte er seinen Speed um locker ins Q3 zu ziehen und seinem Teamkollegen auf den entscheidenden Runden ordentlich Windschatten zu spenden. So reichte es für Leclerc dann auch relativ deutlich zur Pole Position vor – natürlich – Max Verstappen. Respektable zwei Zehntel hinter Verstappen landete dessen Teamkollege Perez. Hamilton und Russell landeten auf den sehr guten Plätzen vier und sechs, einzig Lando Norris war im frisch aufgemöbelten McLaren noch dazwischen. Ansonsten weitgehend die gewohnte Reihenfolge. Zwei mal gab es noch Licht und Schatten: der rundum erneuerte Alpha Tauri präsentierte sich in Frankreich zunächst etwas zwiespältig. Yuki Tsunoda gelang der Sprung in Q3, er qualifizierte sich stark auf Platz acht. Der routinierte Pierre Gasly konnte bei seinem Heimrennen aber nicht glänzen und blieb bereits im Q1 stecken. Ein enttäuschender Platz 16 verhagelte dem Franzosen sicher die Laune. Ebenfalls gemischte Gefühle bei Haas. Mick Schumacher drehte eine starke Runde, die ihn locker ins Q2 gewuppt hätte. Diese wurde ihm aber prompt gestrichen, weil er (ich glaube als einziger) gegen die Track Limits verstoßen hatte. Knapp, aber so kann es laufen. Teamkollege Magnussen machte es besser und kam sogar ins Q3. Am Ende aber nutzlos, denn auch ihn ereilte die gleiche Strafe wie Carlos Sainz: Motorwechsel und ein Start von ganz hinten.
Das Rennen, das nicht stattfand
Der Start in den Grand Prix am Sonntag ging weitgehend glatt über die Bühne. Hamilton und Alonso kamen sehr gut weg. Auch Magnussen hatte nach einer Runde bereits etliche Plätze gut gemacht und lag schon vor Mick Schumacher. Ocon und Tsunoda kamen sich bei der Anfahrt zur Schikane auf der Mistral-Geraden in die Quere. Ocon bekam im Anschluss eine 5-Sekunden-Strafe. Für Tsunoda war das Rennen wenig später gar komplett beendet. Die Reihenfolge stabilisierte sich recht schnell und viel Action war nicht geboten. Einzig an der Spitze bahnte sich ein sehr interessanter Kampf zwischen Leclerc und Verstappen an. Der Holländer konnte dem Ferrari rundenlang folgen und war vereinzelt sogar in guter Angriffsposition, es reichte aber stets ganz knapp doch nicht zu einem Manöver. Sehr gutes und sauberes Racing der beiden wieder, das hat Spaß gemacht. Nach 15 Runden hatte Red Bull aber genug und entschied sich für einen frühen Boxenstopp und den Undercut. Verstappen sollte – trotz der brutalen Hitze – auf harten Reifen bis ins Ziel durchfahren. So jedenfalls der Plan. Und es sah gut aus, dass zumindest der Undercut aufgeht. Nach einer Runde war Verstappen boxenstoppbereinigt quasi schon vor Leclerc. Doch Ferrari reagierte nicht umgehend und wollte vermutlich eine ähnliche Taktik fahren wie in Österreich. Länger draußen bleiben und dann auf der Strecke am Kontrahenten vorbei an die Spitze. Nunja, wir werden leider nie erfahren was die Pläne genau waren oder wie das Rennen ausgegangen wäre. Keine zwei Runden nach Verstappens Stopp kreiselte der Ferrari von Charles Leclerc von der Strecke und landete in der Mauer. Unfassbar… Der Monegasse gab im Interview später zu, dass es sein eigener Fehler war und sparte nicht mit ehrlicher Kritik an sich selbst. Das ist sympathisch und transparent, es hilft nur leider nichts. Die Siegchance war für Leclerc groß an diesem Sonntag. So blieb den Fans ein echtes Rennen um den Sieg verwehrt, Max Verstappen fuhr das Ding entspannt nach Hause und profitierte einmal mehr von den Fehlern des Hauptkonkurrenten um den Titel. Doppelt bitter für die Roten.
Das Rennen hinter der Spitze
Spoiler: allzu spannend war es auch im Verfolgerfeld nicht. Carlos Sainz mimte mehr oder weniger den Alleinunterhalter. Der Spanier fuhr ein sehenswertes Rennen und konnte sich mit vielen guten Manövern schnell nach vorne arbeiten. Da zeigte sich auch die Qualität des Ferrari. Außer Red Bull kann da eigentlich niemand mithalten im gesamten Feld. So hatte Sainz weitgehend leichtes Spiel. Aber die Ferrari-Fehler endeten an diesem Renntag nicht bei Charles Leclerc. Die Safety-Car-Phase nach dem Abflug des Monegassen nutzten einige Fahrer für einen Boxenstopp. So auch Sainz. Die Boxencrew hatte aber einen Fehler drin, der Stopp dauerte verhältnismäßig lang und vor lauter Hektik ließ man ihn dann auch noch mitten in den Weg von Alex Albon raus. Glasklarer Fall von „unsafe release“ und somit zwangsläufig eine 5-Sekunden-Strafe. Bezeichnend für die Schusseligkeit am Kommandostand und die geistige Fitness bei Sainz, als selbiger seinen Ingenieur am Funk korrigierte. Dieser hatte ihm eine 5-Sekunden Stop&Go-Strafe kommuniziert. So ein Strafmaß gibt es aber gar nicht und Sainz berichtigte den Kollegen am Funk dann umgehend. Fast schon ein bisschen peinlich… die famose Aufholjagd des Spaniers wurde dadurch natürlich unnötig erschwert. Gegen Rennende zögerten die Roten am Kommandostand dann auch noch zu lange mit der Entscheidung ob Sainz nun nochmal zum Stopp reinkommen sollte oder nicht. Nachdem dieser sich mit riskanten und sehenswerten Manövern an George Russell und Sergio Perez vorbeigearbeitet hatte, musste er doch nochmal rein. Strafe absitzen, frische Reifen und dann in den verbleibenden 10 Runden nochmal von P9 nach vorne kämpfen, uff. Der Funkspruch zum Stopp kam zudem noch, als Sainz mitten im Zweikampf mit Perez war. Auch da hatte der Kommandostand irgendwie gepennt. Nein, es war wahrlich nicht der Sonntag von Ferrari.
Silberstreif am Horizont
Jenseits der Top-Teams gab es einige Lichtblicke. Mercedes fuhr mit P2 und P3 das beste Saisonergebnis ein und sammelte weitere wichtige Punkte. In seinem dreihundertsten Rennen bot Lewis Hamilton eine astreine Leistung auf. Langsam aber sicher gewinnt er teamintern auch wieder die Oberhand. Das gute Ergebnis täuscht aber nicht darüber hinweg, dass der Abstand zur Spitze an diesem Wochenende – sowohl im Quali, als auch im Rennen – wieder deutlich größer war als noch in Österreich. Erklären können diese Schwankungen auch die Mercedes-Ingenieure nicht. Der Kampf um Platz vier in der Konstrukteurswertung spitzt sich auch langsam, aber sicher, etwas zu. Alpine brachte kleine Updates an die Strecke, McLaren überraschenderweise ein recht großes. Im Rennen nahmen sich die Autos dann nicht viel. Die Alpine konnten über die Distanz ihre Reifen etwas besser in Schuss halten. Nicht zuletzt, weil der alte Fuchs Alonso auch einmal mehr alle Mittel aus der Trickkiste ausschöpfte. Auf den Hinweis seines Renningenieurs, dass Lando Norris sich dicht hinter ihm befindet, entgegnete Alonso sinngemäß: „Ja, ich weiß. Ich will ihn möglichst nah hinter mir halten, er soll sich die Reifen ruinieren!“ So viel Übersicht muss man erstmal haben. Und so einen Plan dann natürlich auch eiskalt umsetzen. Alonso ist und bleibt ein Unikat und ein brutal guter Rennfahrer. Hoffen wir, dass er der Formel 1 noch die ein oder andere Saison erhalten bleibt. Schlussendlich punkteten beide Alpine und beide McLaren. Alonso auf P6, Norris P7, Ocon P8 und Ricciardo auf P9. Den letzten Punkt holte Lance Stroll für Aston Martin. Teamkollege Vettel unmittelbar dahinter. Es scheint langsam etwas aufwärts zu gehen bei den Grünen. Und die Zeichen vom Team und von Vettel selbst lassen erahnen, dass der Deutsche wohl noch eine Saison dranhängt. Mindestens. Der enttäuschte Pierre Gasly pilotierte seinen umfangreich erneuerten Alpha Tauri am Ende auf Rang 12. Da schlummert sicher noch eine Menge Potential, das über die kommenden Wochen entfaltet werden will. Die guten Ergebnisse müssen auch langsam kommen, ansonsten wird die Saison für den Rennstall aus Faenza zu einer kleinen Katastrophe. Vielleicht geht der blau-weiße Renner ja schon im nächsten Rennen in Ungarn etwas besser.
Sieben zu sieben
Abschließend möchte ich noch einen Blick auf den WM-Kampf werfen. Es ist wirklich ein Jammer… Ferrari hat in den meisten Rennen dieses Jahr das schnellere Auto. Das untermauern ganze sieben Pole Positions. Auch im Rennen geht der rote Renner in der Regel sehr gut, der Reifenverschleiss ist besser als bei Red Bull, die Upgrades kommen auf der Strecke an und verbessern den Wagen auch fortwährend… es könnte so gut laufen. Aber das Team steht sich zu oft selbst im Weg. Der Motor ist stark, aber unzuverlässig. Auch bei den Kundenteams. Die Fahrer machen Fehler, auch die Strategie war meistens eher schlecht als recht. In dieser Form ist die Scuderia einfach noch nicht titelreif, das muss man ganz klar so sagen. Red Bull und Max Verstappen machen einfach gar keine Fehler. Null. Zu Saisonbeginn gab es ein paar Schwierigkeiten mit der Zuverlässigkeit. Aber seit Imola gehören die weitestgehend der Vergangenheit an. Für die sieben Pole Positions kann sich Ferrari nichts kaufen. Die Punkte werden bekanntermaßen am Sonntag im Rennen vergeben (und ja, bei Sprintrennen auch ein paar am Samstag, ist klar.) und da setzt Red Bull den Roten halt sieben Siege entgegen. Halt, es sind sogar deren acht. Perez hat ja in Monaco überzeugend gewonnen. Dementsprechend führen die Bullen auch beide WM-Wertungen haushoch an. Ferrari braucht dringend die Wende und muss eigentlich Doppelsiege am Fließband einfahren, wenn es noch was werden soll mit einem Titel. Der ein oder andere Ausfall von Verstappen würde auch helfen. Aber ob das passiert…?! Möglich ist alles, aber ich habe Zweifel. Verstappen wirkt zu abgeklärt und ruht dieses Jahr einfach stoisch in sich. Er weiß was er zu tun hat und macht im Moment einfach alles richtig. Mit Budapest kommt aber jetzt eine Strecke, die den Ferrari perfekt liegen müsste. Es braucht jetzt ein blitzsauberes Wochenende mit maximaler Punkteausbeute um die Motivation im Team über die Sommerpause hoch zu halten. Dann geht vielleicht noch was. Und wer weiß, vielleicht spuckt ab Spa dann auch Mercedes beiden in die Suppe und kann um den ein oder anderen Sieg mitfahren. Ich hoffe jedenfalls inständig, dass diese Saison noch lange nicht gelaufen ist und wir noch viele spannende Rennen vor uns haben!
Fazit
FazitTOP:
- Carlos Sainz war das gesamte Wochenende in Bestform. Spielte den perfekten Teamkollegen im Quali und legte im Rennen eine großartige Aufholjagd hin. Beeindruckend!
- Max Verstappen baut seinen Vorsprung in der WM weiter aus. Er macht einfach keine Fehler und räumt eiskalt ab, wenn Leclerc schwächelt.
- Mercedes mit dem besten Saisonergebnis in Frankreich. Wie schon die ganze Saison über: wenn Ferrari und Red Bull Punkte liegen lassen, stauben die Silberpfeile konsequent ab.
FLOP:
- Das Rennen war insgesamt bieder. An der Spitze nach Leclercs Ausfall langweilig. Einzig die Aufholjagd von Sainz und ein paar gute Manöver von Perez und Russell gegen Ende waren sehenswert. Naja…
- Charles Leclerc hat einen sicheren Podiumsplatz, vermutlich sogar einen Sieg, ohne Not weggeworfen. Wer sich solche Fehler erlaubt, wird gegen einen starken Max Verstappen vermutlich nicht Weltmeister.
- Für Alpha Tauri ging es nach dem umfassenden Update noch nicht so recht vorwärts. Eine Saison zum Vergessen bisher für das Team insgesamt und Pierre Gasly speziell.